Reisen mit Rad

Diese Kreuzfahrt spielt sich vor allem an Land ab. Und wer sie macht, der darf mit Fug und Recht behaupten, einen Grossteil der Strecke aus eigener Kraft zurückgelegt zu haben.
von Jan-Eric Lindner

Entdecken Sie die Freuden der Flusskreuzfahrten in Südholland

Flusskreuzfahrten mit Rad und Schiff erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Das Ziel Südholland ist dabei eine der ersten Adressen – nicht zuletzt weil Hügel rar und die Wege perfekt ausgebaut sind. Schneeweiß, 91 Meter lang und flach wie eine Flunder wartet die MS Normandie gleich neben der Erasmusbrücke im Hafen von Rotterdam auf ihre Gäste. 100 werden es sein, die Kabinen sind ausgebucht. Gäste schleppen Köfferchen und Packtaschen über die Rampe auf das Oberdeck. Eine Woche lang soll es für sie rund gehen auf den Flüssen und Radboulevards in der Provinz Südholland. Das Schiff ist für den deutschen Veranstalter SE-Tours unterwegs, der am Bug bereits eine imposante Reihe von Fahrrädern, insbesondere E-Bikes, sauber aufgereiht hat. Nur wenige Passagiere haben ihre Velos von zu Hause mitgebracht.

(c) SE-Tours

An Bord sorgt Achim Kuhlmann für Orientierung und gute Laune. Der pensionierte Lehrer, zugleich Romanautor, ist Reiseleiter der Tour. Auf zwei Etagen verteilen sich die 51 Kabinen, welche die Passagiere nun beziehen. Oben genießen sie den dezenten Luxus zu öffnender Fenster, unten liegen die Schlafgemächer dafür zu dicht über der Wasserlinie. Ein „offenes Wort“ richtet der Reiseveranstalter bereits in Prospekt und Reiseunterlagen an den Gast: Flussschiffe ließen sich nicht mit Hochsee-Kreuzfahrtschiffen vergleichen: „Aufgrund der geringeren Größe sind die Maße von Deckflächen, Kabinen und Aufenthaltsräumen begrenzt.“ Aber hey, wer hier eingecheckt hat, sucht eh das Weite: klare Luft, Bewegung im eigenen Tempo, Natur, Kultur auf Tour. Und findet unterwegs ein Paradies für Radler: perfekte Wege, Landschaft, Abwechslung.

Auf zu neuen Ufern: Eine Reise voller Entdeckungen

Sechs Etappen haben wir vor uns, die in Tourenbeschreibungen und Routenkarten bis ins letzte Detail beschrieben und vorempfunden sind – auch damit niemand verloren geht. Am Morgen nach dem Check-in verlassen wir Rotterdam – Hafen-, Ausgeh-, Einkaufs- und Architekturstadt – in Richtung Dordrecht. Vielen Radelnden steht der Respekt vor der ersten Etappe ins Gesicht geschrieben: Immerhin muss man erst mal raus aus der großen, unbekannten Metropole. Und wer das urbane Radeln in Deutschland gewohnt ist, der weiß, welche Gefahren damit verbunden sind. Doch: In Holland haben „Fietsers“, wie die Fahrradfahrer heißen, Vorrang. Wir sind unterwegs auf wahren Highways, Wegen, auf denen das Zweirad gefeiert wird. Abgesehen von phasenweise recht enthemmten Motorrollerpiloten, die unsere Nebenbahnen ebenfalls nutzen dürfen, haben wir keine Gefahren zu fürchten. Fietsers first – so lautet die Maxime in Rotterdam und anderen holländischen Städten.

Immer am Wasser entlang steuern wir schon bald auf den ersten Höhepunkt unserer Reise zu: Kinderdijk, die wohl berühmteste Windmühlenreihe der Niederlande. Die 19 noch gut erhaltenen Mühlen stammen aus dem 18. Jahrhundert, gehören zum Weltkulturerbe – und erfreuen sich ganzjährig an Besuchermassen, die kamerabewaffnet aus Reisebussen quellen. Weiter, weiter also! Nach Dordrecht, der vermutlich ältesten Stadt Hollands mit ihren mehr als 1.000 Baudenkmälern, in denen sich gemütliche Restaurants, Theater, Museen und Souvenirshops finden.

Was schon am ersten Tag auffällt: die Blumen. Sie sind nicht nur Exportschlager des westlichen Nachbarn, sondern offensichtlich auch Freudenquell unzähliger Hausbewohner und Gartenbesitzer, auch selbst der Gemeinden, die ihre Rabatten ungemein liebevoll pflegen. Hortensien, Rosen, Hecken und Beete – eine Pracht. Während das Gros der Normandie-Gäste gemütliche 40 Kilometer mit Muskel- und/oder E-Antrieb zurückgelegt hat, ist das schwimmende Hotel am Morgen über die Maas und den Gezeitenfluss Noord nach Dordrecht gedieselt, wo es bereits ab der Mittagszeit wieder zu besteigen war. Ein Sundowner an Deck ist Belohnung für erste zurückgelegte Kilometer, während die Velo-Akkus in den Kabinen wieder aufgeladen werden. Nur wenige Teilnehmer haben sich dem Vernehmen nach selbst Touren zurechtgelegt. Die allermeisten hielten sich an die detailfein ausgearbeitete Wegbeschreibung des Veranstalters.

Um 18 Uhr ruft Achim Kuhlmann in den Salon. Er möchte die Route des Folgetages erläutern, was die Gäste dankend aufnehmen. Kurz darauf serviert die Crew das Abendmenü im Speisesaal auf dem (unteren) Hauptdeck. Der Abend klingt draußen aus – auf dem Oberdeck werden Bier und Wein serviert. Für günstige 105 Euro pro Nase haben die meisten Gäste eine Getränke-Flatrate für die gesamte Reisewoche abgeschlossen, die es ihnen erlaubt, ab 16 Uhr alle Drinks mit Ausnahme von Cocktails nach eigenem Durst und Gusto zu ordern. Ein Preis, der gewiss mit der frühen Schlafenszeit der Gästemehrzahl spielt.

Denn morgen geht es ja wieder aufs Rad – von Dordrecht nach Gorinchem, was, wie Kapitän Einte de Vries am Abend erzählte, in etwa „Grrink“ auszusprechen sei. Höhepunkt dieser Tagestour: das nach kurzer Fährüberfahrt erreichte Naturschutzgebiet De Biesbosch, in dem uns der Rückenwind so massiv antreibt, dass die Muskelradler die abgeriegelten E-Biker locker abhängen. 8.000 Hektar umfasst das Süßwasserdelta. Mehrere Flüsse kommen hier zusammen. Überflüssig zu erwähnen, dass unzählige Tierarten sich hier wohlfühlen. Autos stören nicht, es fahren kaum welche.

Durch das Rhein-Delta radeln wir weiter gen „Grrink“, das wir schlussendlich per Wassertaxi erreichen. Von ihm aus sehen wir bereits unser flaches Motorschiff, vor dessen Betreten wir noch einen Bummel durch die charmante kleine Altstadt unternehmen. Die Abende, so lernen wir heute, folgen einer gewissen Gleichförmigkeit: Tourbesprechung, Dinner unten, Drink oben, gute Nacht. Die Mitreisenden sind nicht durchweg deutsch: Da sind die Schwestern aus Great Britain, die einmal im Jahr gemeinsam Urlaub machen – mit ihren Männern, von denen wiederum einer Neuseeländer ist, der seine Gattin in seine Heimat gelockt hat. Ihr Tisch ist stets am längsten besetzt. Da sind die Freunde aus Dänemark und die Pärchen-Crew aus der Schweiz. Ein Großteil der Gäste stammt diesmal aus dem Ammerland. Ein dortiges Reiseunternehmen hatte ein Kontingent aufgekauft und eine eigene Gruppe organisiert. Von ihnen sitzt Eckard mit an unserem Tisch, ehemaliger Volkshochschullehrer und passionierter Radler. „Ich fahre mit meiner Gruppe, überlasse hier mal den Damen die Planung“, sagt der Rentner. „Klappt wunderbar!“ Ebenfalls mit am Dinner Table: Steffi und ihr 80-jähriger Vater, beide aus dem Erzgebirge. Trotz fortgeschrittenen Alters steigt der alte Herr morgens voller Tatendrang auf sein E-Bike. „Als er dann noch die steile Leiter in die kleine Mühle hochklettern musste, ist mir allerdings angst und bange geworden“, berichtet die Tochter abends.

Von Gorinchem bis Utrecht – Die Entdeckung der Niederlande

Weiter geht es von Gorinchem in das Herz der Niederlande – Utrecht. In der Grachten-Metropole gilt es einmal mehr, den holländischen Radwegen ein Lob auszusprechen. Ob über Land oder in der Stadt: Es radelt sich gefahrlos, komfortabel, herrschaftlich. Gekommen sind wir unter anderem durch die Käsestadt Leerdam und die alte Festung Vianen, die engen Gassen von Vreeswijk und das niedliche Nieuwegein. Gewundert haben wir uns über merkwürdige Dekorationen an zahlreichen Häusern am Wegesrand: Neben der Landesflagge hingen dort immer wieder Taschen und Rucksäcke über den Eingangstüren. „Ein Brauch in Holland. Das macht man, wenn ein Kind den Schulabschluss geschafft hat“, verschafft erneut Schiffskapitän de Vries Aufklärung.+

Für Achim Kuhlmann, den pensionierten Lehrer und Teilzeit-Reiseleiter, käme ein vergleichbarer Job auf einem Hochseeschiff nie infrage: „Bei einer Reise wie dieser ist das Publikum viel entspannter“, sagt er. Alle kommen raus, freuen sich, nachmittags oder abends wieder an Deck zu kommen. Und sie sind zufriedener, weil sie auch selbst aktiv sind. „Die Gäste freuen sich, wenn sie gedanklich mitgenommen werden“, sagt Kuhlmann, dessen Hobby, fast logisch, das Radfahren ist. Sein Kollege Gerhard Krause – er ist pensionierter Polizeibeamter – sieht das genauso: „Wir haben so viele interessante Gäste“, sagt er. So begleitete er einst einen ehemaligen Deutschland-Achter-Ruderer durch Holland, ebenso einen Instrumentalisten des Heeresmusikkorps. Warum das Publikum doch durchschnittlich höheren Alters ist? „Unsere Gäste sind klar Generation 60 plus“, sagt Krause. „In diesem Alter kann man sich so eine Woche mal leisten – und weiß sich gut betreut.“ Mit rund 1.100 Euro bei eigener Anreise ist die Holland-Woche im internationalen Kreuzfahrt-Preisvergleich klar am erschwinglichen Ende angesiedelt.

Kapitän Einte de Vries, der diese Tour mit Ehefrau und Pudel macht, ist übrigens Nordholländer, lebt am IJsselmeer. Die Region, in der er wohne, sei sogar noch schöner als Hollands Süden, sagt der Schiffsführer. „Aber: Alles ist schön! Du musst nur deine Augen aufmachen.“ Dass er mit seinen 72 Jahren noch immer am Steuerstand steht, erklärt er mit einer gewissen Ruhelosigkeit und seinem Hobby: Urlaub mit dem Wohnmobil machen. „In Holland sind die Renten nicht so hoch wie bei euch in Deutschland“, sagt er. „Da müssen wir schon zusehen, dass das alles funktioniert.“

Das engagierte Team an Bord

18 Männer und Frauen begleiten die Reise. Reinigungskräfte, Hotelpersonal, Nautiker. Wobei Letztere sich auch liebevoll um die Fahrräder kümmern, wenn das Flussschiff festgemacht hat. Am Morgen sind sie als Erste aktiv und schieben die Velos von Bord. Abends reihen sie diese wieder zentimetergenau auf dem Oberdeck auf. Die rote Flotte des Reiseveranstalters entstammt der Manufaktur Velo de Ville in Münster. Es sind zuverlässige und funktionale Räder, die für Einsätze wie hier auf dem Flussschiff noch einmal modifiziert wurden. Kaum ein Gast murrt über das Material.

Utrecht verlassen wir am Morgen in Richtung der Silberstadt Schoonhoven, einmal mehr vorbei an Kanälen, Flüsschen und blühenden Vorgärten. Aber auch durch gewaltige Logistikzonen, aus denen die Exportgüter unter anderem nach Deutschland gehen. Und vorbei an Gewächshäusern, die so gewaltige Ausmaße haben, dass es auf dem Rad Minuten dauert, bis man von einem Ende am anderen ist.

Rückkehr und Ausklang der Reise in Rotterdam

An Tag sechs der Tour kehren wir zurück zur Erasmusbrücke in Rotterdam, wo – Déjà-vu – die MS Normandie schon wieder liegt, wie am ersten Tag. Gesehen und gegessen haben wir unterwegs Gouda – wir haben die Käsestadt zufällig am Tag des wöchentlichen Marktes am städtischen Rathaus passiert. Eine echte Show mit Frau Antje, dem Klischeekatalog entsprungenen Käselaibrollern und Holzschuh-Models. So gab es neben atemberaubender Weite auch noch einen unerwarteten Schuss Folklore. Sind das die Eindrücke, die hängen bleiben? Eher ist es die Erinnerung an schier widerstandsloses Gleiten, an Radfahren ohne Angst vor Motorhauben-Kontakt und an nette Menschen an Bord der MS Normandie, die sich – anstatt sich nur verwöhnen zu lassen – selbst mal Gutes tun.

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