Abenteuer Antarktis

Vom Orca zum Eselspinguin; Mit der SH Vega wird das Südpolare Abenteuer zum einmaligen Naturerlebnis - und verspricht zudem luxuriösen Komfort im skandinavischen Stil
von Antonia Isabel Schulz

Langsam, nur mit einer Handvoll Knoten, schiebt sich der dunkelblaue Rumpf der SH Vega geschmeidig durch das Feld der umhertreibenden Eisbrocken. Die Passagiere auf dem offenen Pooldeck reden kaum, sie genießen ergriffen das Naturspektakel: Wasser, so glatt, als würde man sich durch eine Landschaft aus Spiegeln bewegen, gesäumt von schneebedeckten Bergen, die eine perfekte Hintergrundkulisse für die vorbeiziehenden Eisformationen bilden. Einst gab ein Entdecker diesem entlegenen Flecken den Namen Paradise Bay. Und ja, es ist tatsächlich ein Paradies, das uns hier als Ouvertüre noch vor der antarktischen Halbinsel begrüßt und wegen ebendieser Szenerie ein begehrter Anlaufpunkt für Expeditionsschiffe ist.

Paradise Bay: Wenn sich die Sonne langsam durch die Wolken schiebt, fangen Eisberge an blau zu leuchten (c) Antonia Isabel Schulz

Für die Gäste auf dieser Reise ist es der erste Tag in der Antarktis. 60 Stunden zuvor hatte für sie das Abenteuer in Ushuaia, Argentinien, begonnen – mit obligatorischer Champagner-Begrüßung und dem Bezug der gemütlich im modern-luxuriösen Scandi-Chic eingerichteten Kabinen. Vielen der über Buenos Aires eingeflogenen Passagiere ist da aber schon bewusst, dass vor der Eiswelt noch eine Hürde namens Drake Passage wartet – und je nach Wetterlage dort der Griff zur Tablette gegen Seekrankheit unumgänglich wird. Denn dieses Revier gilt als eines der rauesten Gewässer der Welt, nicht selten erreichen die vom starken Westwind aufgepeitschten Wellen unterwegs acht bis zehn Meter Höhe, manchmal auch mehr. Doch wer die zwei Tage Seegang aushält, der wird später reichlich belohnt.

Balkonkabine: Ausgestattet mit elektrischen Kaminfeuer, Sofaecke, Holzoptik-Paneelen, Minibar, Kaffeemaschine und einem im Schreibtisch eingebetteten Schminkspiegel. (c) Antonia Isabel Schulz

„Liebe Gäste! Wir können es selbst kaum glauben, aber Sie sollten schnell raus auf die Steuerbordseite kommen“, erklingt die Stimme von Expeditionsleiter Anthony plötzlich über Lautsprecher. Auf dem Flur treffen aufgeregte Passagiere aufeinander. Der türkisfarbene Parka, von dem jeder Gast ein Exemplar auf der Kabine hat, wird bereits fest umklammert. Ein Muss bei den arktischen Temperaturen. Eilig joggen alle das gläserne Treppenhaus hinauf. Fahrstuhl? Zu langsam! Jetzt muss es schnell gehen. Über die Observation Lounge auf Deck 7 drängen die Ersten durch die Tür nach draußen zur Reling. Und dann sind schon die vielstimmigen Ahs und Ohs zu hören, die sich durch die mit Fernglas und Teleobjektiv ausgestatteten Reihen ziehen.

Der Grund ist schnell ausgemacht: Eine Gruppe Orcas schwimmt nur unweit vom Schiff entfernt vorbei, dabei immer auf- und abtauchend und Wasser in die Luft prustend. Ein guter Anlass für Kapitän Tim Cashman, das Schiff zu wenden und anschließend die Maschinen auszustellen. Dass sich ein solches Spektakel bereits am ersten Tag ereignen würde, damit hatte niemand gerechnet. Und auch nicht damit, dass die Orcas eine ebenso große Neugierde zeigen wie die Gäste. Nachdem das Schiff zur Ruhe gekommen ist und nur noch etwas mit der Strömung treibt, kommen die schwarz-weißen Wale bis an den Rumpf des Schiffes und zeigen sich durch das eisblaue klare Wasser damit von ihrer besten Seite. Es wird definitiv ein Highlight der zwölftägigen Reise bleiben, die doch gerade erst begonnen hat.

Hydrurga Rocks: Während im Hintergrund die lauten Rufe der Zügelpinguine erklingen, döst ein Seebär entspannt auf seinem Felsen (c) Antonia Isabel Schulz

Swan Hellenic – dieser Name blickt schon auf über 70 Jahre Seefahrtgeschichte zurück und war lange Zeit besonders am britischen Markt eine traditionsreiche Kreuzfahrtmarke. Schon in den 1950er-Jahren organisierte das Vater-Sohn-Duo Swan eine erste Tour ins antike Griechenland. Der Erfolg war so groß, dass daraus bald ein ganzes Kreuzfahrtprogramm erwuchs. Nach verschiedenen Besitzerwechseln (P&O, Carnival), einem zwischenzeitlichen Stopp der Aktivitäten und einer missglückten Wiederbelebung kam die Marke schließlich in ganz neue Hände: Andrea Zito, heute CEO, holte Swan Hellenic aus der Versenkung hervor, organisierte Investoren und ließ die Flotte in Helsinki neu bauen. Den besonderen Spirit der Reiseaktivitäten galt es dabei zu bewahren, der Rest wurde ausgetauscht.

Im Juli 2022 stellte Swan Hellenic die SH Vega in Dienst. Sie folgte damit ihrer nur ein Jahr älteren Schwester, der SH Minerva. Die 115 Meter langen und neun Decks hohen Schiffe sind baugleich und läuteten den Neustart von Swan Hellenic ein. 2023 folgte dann die dritte Schwester im Bunde: die SH Diana, die mit ihren 125 Metern ein kleines Größenupdate bekam. Alle drei Schiffe besitzen Eisklasse PC 5 und sind damit bestens für ihre Hauptdestinationen Antarktis und Arktis ausgestattet. Von November bis März steht die Antarktis im Routing, von Mai bis September die Arktis. Dazwischen werden immer wieder besondere Reviere im restlichen Teil der Erde befahren.

Die Boutique-Schiffe gehören mit ihrem Fünf-Sterne-Konzept und begrenzter Passagierkapazität von maximal 152 Gästen (192 auf der SH Diana) ins Luxussegment der Expeditionsschiffsbranche und bieten damit ein höchst angenehmes Ambiente für die Entdeckung der entlegensten Gegenden der Erde. Doch allem Komfort zum Trotz: „Es handelt sich um eine Expedition, nicht um eine Kreuzfahrt“ – dieses Zitat aus dem Vorbereitungsmeeting bleibt hängen. Auch Kapitän Tim Cashman bestätigt: „Jeden Tag planen wir die Route anhand von Wetterdaten neu. Wissen Sie was? Wir sind bereits bei Version sechs angelangt. Dabei haben wir gerade erst den vierten Tag geschafft!“ Trotz aller Wetterschwankungen müssen die Gäste bei unserer Reise nicht auf den begehrten kontinentalen Landgang verzichten. Orne Harbour bietet dafür die perfekte Kulisse: eine malerische, verschneite Bucht mit atemberaubendem Ausblick auf Gletscher, Eisberge und hohe Hügel. Für viele an Bord ist es der siebte und letzte Kontinent auf ihrer Bucketlist.

Pooldeck: Wer will, kann hier baden gehen – oder, ganz hartgesotten, den „Polar Plunge“ im Meer riskieren

Nach dem anstrengenden Aufstieg zum Gipfel des Berges und einer frostigen „Zodiac Cruise“, also einer Rundfahrt mit den schwarzen Schlauchbooten, geht es zurück zum Schiff. Kellner John wartet bereits mit heißem Kakao im Basecamp. Während sich die Passagiere aus den Jacken und Schneestiefeln schälen, tauschen sie sich aufgeregt über den ersten Landgang aus. Danach heißt es kurz verschnaufen, ehe das Schiff sein zweites Tagesziel erreicht.

Das tägliche Programm spiegelt fortan das Motto Expedition wider: Ausschlafen und Füße hochlegen steht hier definitiv nicht auf der Prioritätenliste. Aber genau darin liegt auch der Charme, mit dem Swan Hellenic ihre Gäste anspricht. Der Vorteil eines Expeditionsschiffes mit geringer Passagieranzahl ist das voll ausgeschöpfte Potenzial der Destination. In der Antarktis herrschen strenge Regeln, festgelegt von der IAATO (International Association of Antarctica Tour Operators) zum Schutz von Tier und Natur. Und eine der Regularien sieht vor, dass nie mehr als 100 Menschen (egal ob Gast oder Crew) gleichzeitig an Land gehen dürfen. Ein Schiff, das mehr als 500 Passagiere beherbergen kann, bekommt gar keine Landgang-Genehmigung und kann lediglich eine sogenannte „Cruise Only“-Reise anbieten, bei der die Antarktis ausschließlich von Bord des großen Schiffes erlebt werden darf.

Nicht so bei der SH Vega. Durch die Trennung in eine blaue und eine rote Gruppe sowie die leicht zeitversetzte Handhabung der Landgänge wird allen Gästen jede Exkursion ermöglicht – und auch genug Zeit eingeräumt, diese richtig zu genießen. Ganz nach dem firmeneigenen Motto „See what others don’t“ – also: „Sieh, was andere nicht sehen.“ Und dieses Angebot lockt. Ned und Sally aus Boston erzählen, sie wollten nach der langen Covid-Phase mit einem großen „Big Bang“ ihre Reiselust wieder aufleben lassen. Genug angespart hatte sich in der Zeit allemal. Typisch amerikanisch sind zwar ihre jährlichen Urlaubstage begrenzt, aber zwölf Tage plus An- und Abreise haben noch ins Budget gepasst. Besser haben es Ed und Barbara aus Brooklyn, New York: Barbara ist bereits im Ruhestand, und Ed tritt als Gastlektor auf Expeditionsschiffen auf, um über die Natur- und Tierwelt aufzuklären. Er ist somit ein echter Antarktis-Experte, beide sind schon zum vierten Mal zu Besuch auf dem weißen Kontinent. „Für uns ist und bleibt das Besondere einfach das Eis. Es leuchtet in so vielen Farben und fasziniert uns einfach immer wieder.“

Kurz vor der Überfahrt ins Weddellmeer gibt es einen Stopp bei den Hydrurga Rocks. Die Expeditionsguides haben vorsorglich mit roten Flaggen einen Pfad abgesteckt, über den die Gäste halbwegs sicher die rutschigen Steine des Ufers überwinden und zu einer geebneten Schneelandschaft vordringen können. Vollkommen unbekümmert kreuzen dabei mehrere Chinstrap Penguins (Zügelpinguine) den Weg und bewegen sich dabei wesentlich geschickter über die steinige Landschaft als die Passagiere. Dem Schneepfad folgend hört man schon bald erneut die Kameras knipsen. Mehrere Weddellrobben liegen in unmittelbarer Entfernung. Wer sich von dem Anblick der runden, fast flauschig aussehenden Genossen losreißen kann, auf den wartet am oberen Berg nicht nur eine weitere Pinguinkolonie, sondern auch noch ein in sich ruhender Seebär.

Vogelperspektive: Das Foto- und Videoteam der SH Vega dokumentiert die Reise- und sorgt für spektakuläre Bilder

Im weiteren Verlauf der Reise wird das Artenraten fast schon zu einem Spiel. So testet besonders Guide Leonie gerne, ob die Gäste bei den Briefings gut zuhören und die Pinguine anhand ihrer äußeren Merkmale mittlerweile auseinanderhalten können. Eselspinguin, Adeliepinguin oder doch der Zügelpinguin? Weddellrobbe, Seebär oder Seeleopard? Am Ende der Reise fühlt sich wohl jeder der Passagiere wie ein echter Experte. Wer bei einer Antarktis-Kreuzfahrt auch mit der Sichtung eines Königs- oder Kaiserpinguins rechnet, wird in der Regel enttäuscht. Dafür ist ein tieferes Vordringen in die südlichen Gefilde der Antarktis notwendig. Umso größer die Aufregung von Crew und Gästen beim Landgang auf Tay Head, einer steinigen Insel im Weddellmeer. Mitten in der kargen Landschaft, abseits von Seebär und Adeliepinguin-Kolonie, steht er einfach da: ein einsamer, noch mit Babyfedern ausgestatteter jugendlicher Kaiserpinguin. Keiner kann sich erklären, wie er dort wohl gelandet ist, selbst Anthony betont immer wieder, wie glücklich wir uns schätzen könnten, diese Pinguingattung zu Gesicht zu bekommen.

Zeit für das nächste Abenteuer: „Eins, zwei, drei!“, zählen die Gäste sich gegenseitig an. Über wenige Tage ist bereits ein echter Zusammenhalt entstanden. Dieser zeigt sich jetzt besonders stark, während die mutigen Freiwilligen – nur in Badesachen gekleidet – im Basecamp auf ihren großen Moment warten. Die Rede ist – natürlich – vom berüchtigten „Polar Plunge“, einer Eiswassertaufe, die es in sich hat. „Und los!“ Als Nächstes hört man nur ein Platschen und lautes Keuchen, das im Applaus und Jubel untergeht. Baden in der Antarktis? Definitiv ein weiterer Punkt, den die Mutigen hier von ihrer Bucketlist abhaken können. Auch wenn das selten länger als eine Minute dauert.

Wie gemalt: Weiß, Blau und das Grau der Felsen – diese besondere Melange begleitet die Expeditionsreisenden in der Antarktis

Am letzten Abend, nach einer neuerlich wellenbewegten Drake Passage, findet das finale abendliche Briefing statt. Zuvor wurde diese Zeit immer genutzt, um auf die Erlebnisse des Tages und den Plan für morgen zu blicken, doch jetzt liegt Abschiedsstimmung und eine gewisse Wehmut in der Luft. Niemand der 119 Gäste fühlt sich bereit, dieses Abenteuer hinter sich zu lassen – und dennoch steht am nächsten Morgen nur noch die Heimreise an. Crew und Kapitän bedanken sich für die gemeinsame Zeit, es gibt tosenden Abschiedsapplaus und einen elfminütigen Highlight Cut vom bordeigenen Videografen, der die gesamte Reise mit der Kamera begleitet hat. Fotos und Film werden den Gästen später ohne Aufpreis zur Verfügung gestellt.

Während die Klänge der Hintergrundmusik durch die Observation Lounge hallen, lässt jeder für sich noch einmal die vergangenen Tage Revue passieren – die eine oder andere Träne blitzt dabei zwischen den Gesichtern auf. Aber es ist auch verständlich: Keiner weiß, ob er jemals wiederkommen wird. Und wenn doch, ob dieses Fleckchen Erde dann noch so sein wird wie jetzt. Es ist ohne Frage ein emotionaler Abschied. Doch die Bilder des Erlebten, sie bleiben im Kopf.

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